Rennen in Russland

Für die meisten Rennteams war es eine völlig ungewohnte Prozedur: von einem Zöllner waren die getrimmten Fünftonner noch in den wenigsten Fällen inspiziert worden. Doch für das fünfte Rennen der aktuellen Europameisterschaftssaison hieß die Devise: Go East. Es war ein echtes Abenteuer, auf das sich die Truck Race Gemeinde da eingelassen hatte.

Schon lange war ja die Rede davon, den eigenen Horizont ein wenig zu erweitern und vor allem auch die Interessen der beteiligten Hersteller in die Erwägungen mit einzubeziehen. Denn für die ist Russland fraglos ein überaus interessanter und wichtiger Markt, das Interesse von Printmedien, Radio- und Fernsehstationen an den Rennen der Schwergewichtsklasse ist seit langem riesengroß.

Mangels einer geeigneten Rennstrecke war die Idee jedoch immer wieder verschoben worden, zudem sorgte die wirtschaftliche Krise dafür, dass Expansionspläne nicht sehr intensiv verfolgt werden konnten.Doch in Russland hat der Markt längst wieder angezogen, und einer der vielen Russen, die nach den politischen Umwälzungen in den Neunziger Jahren zu Geld gekommen sind, war verrückt genug, eine Rennstrecke in die Landschaft bauen zu lassen, die von Birkenwäldern und Industriehallen eingesäumt wird. Ob das Gerücht stimmt, sei einmal dahin gestellt – doch der eigentliche Anlass soll gewesen sein, dass einer der drei Söhne des Rennstreckenbesitzers Sergei Petrikov Motorsportler ist.

Wenn der Papa dann genug Kleingeld (und Einfluss) besitzt, um dem Filius einen ausgewachsenen Circuit zu spendieren, ist das ja nicht schlecht. Schließlich sprang auch noch die FIA mit auf den Zug und machte gleich Nägel mit Köpfen. Statt des einmal “angedachten“ Einladungsrennens wurde gleich ein richtiger EM-Lauf aus dem Ereignis, für das das Adjektiv „historisch“ durchaus angemessen ist: Denn es war die erste FIA-Veranstaltung auf einer Rundstrecke in Russland. Kaum zu glauben, aber wahr. Trotz des Brimboriums war die ganze Veranstaltung irgendwie typisch für Russland, jedenfalls passte so ziemlich alles in die Stereotypen, die man von diesem Land hat.

Die Rennstrecke wurde erst in letzter Minute fertig – was ein wenig übertrieben ist. Korrekt wäre: so weit fertig gestellt, dass die Voraussetzungen für einen EM-Lauf der Truck Racer wenigstens einigermaßen gewährleistet waren. Improvisationstalent ist eine wichtige Eigenschaft im Leben der Russen, zwangsweise mussten sich auch die Gäste immer wieder darauf einstellen. Die Piste, die da rund zwei Autostunden von Smolensk entfernt in der Einöde gebaut wurde, wirkt auf den ersten Blick ziemlich eng. Zu eng für die Trucks, meinten einige Fahrer, doch Antonio Albacete nahm’s gelassen. Ein guter Fahrer muss überall zurecht kommen, so lässt sich sein Statement frei übersetzen.

Dass auf der neuen Rennstrecke durchaus ansprechender Trucksport möglich ist, zeigte sich dann im vierten und letzten Rennen des Wochenendes, in dem Albacete wieder einmal dem Feld weit enteilt war. Dahinter wurde dafür umso munterer gekämpft, gerangelt, Plätze getauscht und so den Zuschauern (von denen keiner Eintritt zahlen musste, weil es noch keine Tribünen gibt) eine tolle Show geboten. Albacete: Zwei Siege, eine Strafe Dass das Feld in der Spitze in diesem Jahr einigermaßen ausgewogen ist, war eigentlich schon vor Saisonbeginn zu erahnen. Das bestätigte sich auch in Smolensk, wo sich beispielsweise Jochen Hahn (der auch zu denen gehört, die die Strecke mögen) nach seinem für ihn unbefriedigenden Auftritt auf dem Nürburgring wieder absolut konkurrenzfähig zeigte.

Der konstanteste Akteur ist im Moment allerdings Antonio Albacete, der als einziger Fahrer aus den Top Five der EM-Tabelle seine Position kontinuierlich behauptet. Mit zwei Siegen fährt der Spanier aus Russland heim, den durchaus möglichen dritten Erfolg verbaute er sich mit einem Frühstart im dritten Rennen. Da hatte er David Vrsecky neben sich, „und der ist mit seinem Hauber extrem schwer einzuschätzen. Wenn ich die Haube des Freightliner erst einmal neben mir sehe, ist es zu spät. Dann hat David schon zu viel Power aufgebaut,“ gab Antonio hinterher zu Protokoll. Diesmal ging die Startstrategie also nicht auf, die Kommissare erkannten auf Frühstart und beorderten den Madrilenen zur Drive Through Strafe in die Boxengasse. Auf dem kurzen Kurs bedeutete das: einsortieren am Ende des Feldes, die anschließende Aufholjagd führte Albacete noch auf den siebten Platz. Er entschädigte sich für das Malheur dann im letzten Lauf mit einem souveränen Start-Ziel-Sieg, seinem zweiten in Smolensk.

Die Maximalpunktzahl im ersten Rennen ging ebenfalls auf das Konto des Spaniers, der sich zuvor die erste Pole Position auf dem neuen Motodrom gesichert hatte. Im zweiten Lauf mit gedrehter Startreihenfolge hatte Antonio eine harte Bank vor sich – und fuhr auf Nummer sicher. Was am Ende den vierten Platz hinter dem stark agierenden Markus Oestreich bedeutete. Mit seinen Erfolgen verteidigte der Ex-Champion seine Führungsposition, sein Vorsprung beträgt aktuell 30 Punkte auf den neuen Verfolger Jochen Hahn. Chris Levett: Von der Hitze geplagt Für Chris Levett war der Ausflug nach Russland eine Tortur. Der hitzeempfindliche Brite litt unter der Glutwolke, die derzeit über dem Osten Europas liegt. Bei Temperaturen teilweise jenseits der 40-Grad-Marke auf der schattenlosen, stickigen Rennstrecke war der Einsatz im Cockpit kein besonderes Vergnügen für Chris, der es lieber kühl mag.

Trotzdem schaffte der Brite im ersten Zeittraining um die Superpole das Kunststück, die zweitschnellste Runde zu fahren, schneller war an diesem Tag nur Antonio Albacete. Im ersten Championshiprennen gelang es kurz nach dem Start einem „Dreierzug“, sich an dem blauen MAN vorbei zu schieben. Danach rannte Levett vergeblich gegen David Vrsecky an, immerhin amtierender Europameister. Am Ende musste er sich mit dem undankbaren vierten Platz zufrieden geben. Der zudem keine sonderlich gute Ausgangsposition für das zweite Rennen war, das Levett von einer Innenbahn aus angehen musste.

Auf der Piste, die kaum zwei Trucks nebeneinander Platz bietet, wurde der Brite beim Start weit nach innen gedrückt und zirkelte entsprechend langsam um die erste Haarnadelkurve. In der Folge hatte Chris eine nicht zu knackende Armada vor sich, unter anderem mit David Vrsecky, Albacete und Markus Oestreich. Am Ende sprang der sechste Platz für den Motorsportler aus Großbritannien heraus. Der musste dann am folgenden Tag endgültig der Hitze Tribut zollen und blieb hinter seinen eigenen Erwartungen zurück. Da half auch nicht, dass sich der Truck Racer vor jedem Rennen mitsamt seiner Montur unter einen Wasserschlauch stellte.

Platz sieben im Zeittraining, Neunter im ersten und einmal mehr Sechster im vierten Wertungslauf waren am Ende die Ergebnisse des zweiten Tages. Jetzt hofft Levett darauf, dass er in Most bei hoffentlich wieder regulären Verhältnissen – sprich Temperaturen – an seinen Erfolg vom Nürburgring anknüpfen kann.